Gelassen auf dem Weg
Der Motorradgottesdienst in Hamburg: ein Fest für Fahrer und Maschine. Und für den Menschen
„Zeig‘ Dich!“ ist das Motto des diesjährigen MOGO, der am 10. Juni zum 29. Mal stattfinden wird. Ein Ansporn „den Menschen hinter dem Visier offen zu zeigen“ soll dieses Motto sein, sagt Pastor Erich Faehling, die charismatische Leitfigur dieser wundervollen Veranstaltung.
Versteckt unter einer ritterähnlichen Rüstung, die Augen unsichtbar hinter dem verspiegelten Visier wird der motorradfahrende Mensch häufig als harter Typ „deklassiert“, der begleitet vom lauten Geräusch der eigenen Maschine oft rücksichtslos seinen eigenen Weg geht.
Eine Beschreibung, die sich für Erich Faehling denkbar schlecht eignet.
Wer den Kirchenmann schon mal persönlich getroffen und ihm zugehört hat, weiß, welche Menschlichkeit und Offenheit er – ein passionierter Motorradfahrer – ausstrahlen kann. Er verkörpert das diesjährige Motto des MOGO und zeigt „den Menschen hinter dem Visier und ohne Geknatter“, wie er selbst sagt.
Trotzdem gehören Helm und Geknatter zu dieser Veranstaltung dazu. Imposant wird sich der Konvoi von zehntausenden motorisierten Zweirädern durch das hamburger Stadtgebiet schlängeln, um dann die A7 nach Kaltenkirchen anzusteuern, wo eine Party als Abschluss der Veranstaltung stattfinden wird. Auf dem MOGO im vergangenen Jahr waren es nach Angaben des Veranstalters über 35000 Motorradfahrer. Ein Besucherrekord, der fast von Jahr zu Jahr übertroffen wird.
Jedes Mal werden unzählige Schaulustige vom Straßenrand aus das Spektakel anschauen und sich vielleicht fragen: So viele unstabile Gefährte auf engem Raum. Ist das nicht gefährlich?
Stimmt, das ist nicht ohne.
Insbesondere in der ersten Phase ist Vorsicht geboten, wenn diese unglaubliche Zahl von Motorrädern sich in Bewegung setzt und die Dichte der Maschinen keine durchgehende Fahrt erlaubt. Ein ganz extremer Fall von „Stop and Go“. Und speziell alle Zentauren, die weit zurück im Konvoi losfahren müssen, haben es richtig schwer.
Warum denn eigentlich?
Ein Motorrad fährt ab einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h im so genannten „stabilen Bereich“ (konstruktionsbedingt erreichen einige Motorradtypen diesen stabilen Bereich etwas früher oder später als andere). Dies bedeutet: Wenn man auf einer Geraden, bei einer Geschwindigkeit von beispielsweise 50 km/h den Lenker mit beiden Händen loslässt, kippt das Motorrad nicht einfach sofort um, sondern fährt „eigenstabil“ weiter, bis es, bedingt durch den zwangsläufigen Geschwindigkeitsabbau, diesen Bereich wiederum verlässt. Man könnte sagen: Während die Physik uns hilft, ab einer gewissen Geschwindigkeit Motorrad zu fahren, sind wir Motorradfahrer beim langsam Fahren auf uns alleine gestellt und müssen selber die ständig kippenwollende Maschine mühsam ausbalancieren.
Langsam Fahren mit dem Motorrad kommt öfter vor, als wir es wahrnehmen wollen. Nicht nur beim Anfahren, Einparken, Wenden oder im Konvoi wie beim MOGO, fahren wir in diesem kritischen Geschwindigkeitsbereich. Auch eine enge Passkehre – insbesondere auf der Fahrbahninnenseite – wird, bedingt von Kurvenradius und -geschwindigkeit im instabilen Bereich gefahren.
Im ADAC Fahrsicherheitszentrum Hansa/Lüneburg gehört das langsam Fahren zu den wichtigen Grundlagen, die wir Trainer im Standard-, Intensiv- und Perfektionstraining vermitteln.
Im Gespräch mit den Trainingsteilnehmern wird man schnell einig: Der Fahrer ist mit seinen Sinnen stark gefordert. Er muss die Fuhre ständig ausbalancieren. Gleichgewichtssinn und eine erhöhte Aufmerksamkeit auf die Reaktion des Motorrades sind gefragt. Hierzu helfen der weit nach vorne gerichtete Blick und beim Anfahren ein sofortiges Hochnehmen beider Füße auf die Rasten. Der Blick bringt Stabilität mit der Maschine; mehr Kontakt eine genauere Rückmeldung derselben. Und nebenbei gesagt: Losfahren sieht auch souveräner aus als Lostrippeln...
Aber dann: Wie sollte die eigentliche Bedienung des Moppeds ablaufen?
Es liegt auf der Hand, dass eine schleifende Kupplung hilft, langsam zu fahren. In vielen Fällen aber ist sie nicht ausreichend, wenn die Fahrbahn beispielsweise auch nur leicht abschüssig ist. Also in diesem Fall, aber auch, wenn die Fahrt extrem langsam sein muss, wird die Hinterradbremse zur Regulierung – besser gesagt zur Reduzierung – der Geschwindigkeit zur Hilfe genommen.
Und was macht man mit dem Gas? Beim Anfahren klare Sache: Es muss auf Anfahrdrehzahl gebracht werden. Und weiter? Viele Maschinen können problemlos eine langsame Fahrt mit Standgas schaffen – sogar das Anfahren ist damit möglich. Das Problem dabei ist die Gefahr, dass die Maschine ausgeht. Lässt man dagegen den Motor konstant auf Anfahrdrehzahl, profitiert man doppelt: Einerseits geht der Motor nicht aus, anderseits tragen die rotierenden Massen des Aggregats zur Stabilisierung bei. Die Koordination dieser drei Bedienungselemente sowie derer gefühlvollen Dosierung sind fundamental fürs langsam Fahren.
Für fast alle Teilnehmer wird es noch schwieriger, wenn es ums Wenden geht. Bei eingeschlagenem Lenker ist das Ausbalancieren der Maschine durch Lenkbewegungen eingeschränkt – oder gar nicht möglich. Zum Beispiel, wenn, aufgrund der Verkehrslage, mit voll eingeschlagenem Lenker gewendet oder gar angefahren werden muss. Der Blick muss früh in die gewollte Fahrtrichtung gebracht werden, und zwar klar und deutlich durch das Drehen des Kopfes und nicht nur durch den Augenwinkel. Erschwerend kommt dazu, dass die Betätigung der Vorderradbremse (in dieser Situation klar als Fahrfehler zu bewerten) bei langsamer Fahrt und eingeschlagenem Lenker eine fatale Wirkung hat: Die Maschine kippt gnadenlos in Richtung Kurveninneres! Dualbremsen sind beim Wenden ebenfalls mit Vorsicht zu genießen: Wenn die Betätigung des Fußpedals die Vorderradbremse mitbremsen lässt, muss der Motorradfahrer auch mit einer verstärkten Kippneigung der Maschine rechnen.
Natürlich ist das nicht alles, was der Fahrer in der Realität zu tun hat: Entscheidungen muss er auch treffen: Habe ich genug Platz zum Wenden? Erlaubt mir die Verkehrslage dies? Habe ich das Manöver mit Blick, Spiegel, Blinker und Schulterblick abgesichert und angekündigt? Die Teilnehmer merken schnell: Beim Wenden muss erst das Zusammenspiel von Blick, Gas, Kupplung und Hinterradbremse präzise funktionieren, damit der Fahrer seine Aufmerksamkeit dem Verkehrsgeschehen widmen kann. Das souveräne langsam Fahren mit dem Motorrad benötigt in der Tat etwas Übung.
Erich Faehling würde sagen: „Zeig‘ Dich im FSZ mit Deinen Schwächen“. Er und seine MOGO-Helfer haben es getan. Sie waren am 13. Mai bei uns im ADAC-Fahrsicherheitszentrum Hansa/Lüneburg, um für den großen Tag gerüstet zu sein.
Und haben damit ihre Stärke gezeigt.
Copyright © Alberto Salvagnini, 2012